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Schmiedeberg in Polityka

Rezension von Agnieszka Krzemińska in Politika (29. Oktober 2013), übersetzt von stud. ing. Alex David Komorowski (Corps Vandalia Rostock)

Wilhelm Schmiedeberg wurde im Jahr 1815 als Sohn eines Apothekers geboren. Es ist sicher, dass wir nie von ihm gehört hätten, wenn er während seines Studiums in Königsberg (1835–39) nicht ein Album mit den Portraits seiner akademischen Freunde geführt hätte. Er gab seinem Album den romantischen Namen „Blätter der Erinnerung“; die zeitgenössischen Forscher Würzburgs sehen in diesem Dokument ein Facebook des 19. Jahrhunderts. Dank der Detailtreue [der Portraits] ist zu sehen, dass die Studenten Königsbergs sich in eleganten Gehröcken sowie Jacken in ihren Farben kleideten; am Halse trugen sie ungewöhnlich gebundene Krawatten und Fliegen. Sie achteten auch auf ihre Frisuren, die Haare wurden in drei Teile zerlegt, wobei der obere über der Stirn hochtoupiert wurde. Die Mehrheit rasierte sich glatt, jedoch trugen einige einen kleinen Schnurrbart oder üppige Koteletten.

Schmiedebergs Album bietet für die Erforschung der damaligen Mode Material von unschätzbarem Wert. „Gegen Ende des 18. Jahrhunderts war die Damen- sowie die Herrenmode abwechslungsreich und mit vielen Farbtönen geschmückt, aber durch den Einfluss des rohen englischen Stils in der männlichen Kleidung begann man mit der Zurückhaltung in Form und Farbe, bis in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts eine komplette Trennung der Damen- von der Herrenmode stattfand.“, erklärt die Kostümologin des Nationalmuseums in Breslau, Dr. Malgorzata Możdżyńska-Nawotka.

Der „gute Ton“ empfand es als unerhört, die Aufmerksamkeit direkt auf das männliche Outfit zu wenden. Charles Baudelaire umschrieb blumenreich den Umbruch des Dandytums vom 18. ins 19. Jahrhundert, er betont, dass eine unmäßige Neigung bezüglich der Kleidung und äußeren Eleganz bestehe, auch als ein „Symbol aristokratischer geistiger Überlegenheit“. Aus Schmiedebergs Album kann man entnehmen, dass die Studenten der Albertina der Idee des Dandytums sehr nahe waren. Einige Bekannte stellte der Künstler in Schlafröcken dar und viele von ihnen hatten eine – damals moderne – östliche Pfeife im Mund. „Das Empfangen von Gästen im Schlafrock war zu gegebener Stunde keine Unmöglichkeit, es gehörte sogar zum guten Ton. Der Schlafrock war kein Bademantel. Er war ein Symbol des Übergangs in heimische intellektuelle und bildende Arbeit. Es ist ein Beweis für den Einfluss des Orients im modernen Europa. Das kommt daher, dass in offiziellen Kleidern kein Platz für Extravaganz war. Deshalb der Schlafrock, östliche Latschen, Pfeifen und Kopfbedeckungen.“ , sagt Możdżyńska-Nawotka. – Zum guten Ton gehörte es, dass junge Frauen ein Poesiealbum mit sich trugen, in dieses schrieben Poeten Gedichte (wie S.owacki im Tagebuch von Zofi a Bobrówny: „Niechja mnie Zośka o wiersze nie prosi“: Lass Zośka mich nicht nach einem Gedicht fragen); Maler malten und Musiker verfassten ein kurzes Lied. Zudem verwahrte die junge Dame darin weitere Erinnerungsstücke, z.B. trockene Blumen oder Blätter.

„Herren führten [zur Zeit Schmiedebergs] kein Stammbuch, nur Alben und Gästebücher“, bemerkt der Kenner der Kultur im 19. Jahrhundert, Prof. Grzegorz Bąbiak vom Institut für angewandte Polonistik an der Universität Warschau. „Nach den Novemberaufständen in Warschau und Vilnius wurden die Universitäten [von den russischen Besatzern] geschlossen. So zog die Jugend erst einmal in die Cafeteria und dann, aufgrund von Spitzeln, in die Salons. In ihnen pulsierte das aristokratische und intellektuelle Leben des Landes. Die Salonbesitzer führten Gästebücher, in denen sich die Veranstaltungsteilnehmer recht offiziell eintrugen, doch erlaubte man sich manchmal auch einen Scherz oder Klamauk.“ – Die Externalisierung der Gefühle war damals Mode, Alben und Poesiealben sind neben der Literatur und den Briefen ein wichtiges Dokumentationsmittel der romantischen Stimmung.

An deutschen Hochschulen des 19. Jahrhunderts fand sich noch ein extrem wichtiges Element, welches das akademische Leben dominierte, studentische Organisationen. Schmiedebergs Album erlaubt es, ihre Entwicklung auf der Albertina zu verfolgen. Alle [heute auch in Polen bestehenden] studentischen Bruderschaften und Konföderationen haben ihre Wurzeln gerade in den Verbindungen, die sich am Anfang
des 19. Jahrhunderts in Deutschland, bildeten. „Nach der französischen Revolution begannen die jungen Menschen mit liberal-demokratischen Vorstellungen in den Fürstentümern Deutschlands von einer deutschen Einheit zu träumen“, erklärt der Germanist Prof. Leszek Żyliński von der Nikolaus-Kopernikus-Universität in Thorn. „Da es in diesen Zeiten keine politischen Parteien gab, in denen man seine patriotischen Gedanken einbringen konnte, manifestierten Studenten diese in ihren Verbindungen.“

Die Angehörigen der Verbindungen wurden [von Schmiedeberg] in ihren Bändern und Kopfbedeckungen portraitiert. Eduard Dassel, Karl Natkiewicz und Wilibald Wyszomirski hatten eine weiß-rote Konfederatka (Bundesmütze) und gehörten somit [vielleicht einer] Littuania oder [nicht nachgewiesenen] Polonia an. „Nach dem Jahr 1831 waren pro-polnische Trachten in Europa sehr stark vertreten, da die Aufständischen nach Frankreich emigrierten. Viele von ihnen machten Rast in deutschen Städten, wurden begrüßt, verpflegt, teilweise sogar kostenfrei in Wirtshäusern. Eine besondere Art der Solidarität fand unter den Studenten statt, die den Novemberaufstand als niedergeschlagene Revolution wahrnahmen, verschuldet durch den Verrat des Hofes.“, sagt Prof. Bąbiak.

Nach dem Schließen der Universitäten in Warschau und Vilnius, an denen die [verbotenen] Studentenorganisationen der Filomatów (griechisch: Philomaten, „Liebhaber der Lehre“), Filaretów (Philareten, „Tugendfreunde“,) und der Promienistych („Strahlenden“) vertreten waren, trafen sich viele der dort aktiven Polen und Letten an der Albertina wieder. In Schmiedebergs Album schrieb Alexander Cerawski neben den polnisch klingenden Namen und sein Portrait: „Freundschaft ist eine große Tugend, wenn man das Verlangen nach ihr hat, und was Freundschaft verbindet, hält auf ewig.“ Aber es gibt auch ein Zitat des [polnischen Nationaldichters] Mickiewicz: „Nichts entfacht im Herzen so starke Gefühle wie ein Herz, das sich von einem anderen entfernt.“ und „Die heilige Liebe zum geliebten Vaterland“. Diese offizielle Hymne der ritterlichen Kadettenschule war einer der ersten patriotischen „Hits“ während des Umbruchs vom 18. zum 19. Jahrhundert.

Bei aller Ähnlichkeit [des Albums Schmiedeberg mit Facebook] liegt das Hauptaugenmerk der heutigen sozialen Netzwerke im Erhalt des Kontakts. Im 19. Jahrhundert war das die Aufgabe des Briefverkehrs, welcher in der Epoche der Romantik aufblühte. Der Briefverkehr ist ein Spiegel der damaligen Zeit, ohne den das Verstehen des 19. Jahrhunderts sehr schwer fallen würde. „Früher wurde der gesamte Briefverkehr verwahrt und zum Zurückgeben (oder der Vernichtung) kam es nur bei einem demonstrativen Kontaktbruch. Wenn wir nun heute einmal überlegen, wie viele wir von unseren Mails behalten und verwahren, merken wir schnell, dass die Epistologie (= Kunde von der Briefkunst) ausstirbt. Die Historiker kommender Generationen stehen somit vor einer echten Herausforderung“, unterstreicht Prof. Bąbiak.

Unseren Nachfahren werden nur die Festplatten und Laufwerke unserer Computer zur Verfügung stehen, mit denen sie versuchen werden, unser Leben nachzustellen. Wir hingegen können das Leben an der Universität in Königsberg zwischen 1835 und 1839 dank eines künstlerisch begabten Jurastudenten nachvollziehen.

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